VdEW Newsletter 26/2024

VdEW Newsletter 26/2024

1. Ungültige Betriebsratswahl wegen fehlender schriftlicher fremdsprachiger Information zum Wahlverfahren

In seiner Entscheidung vom 12.01.2024 hatte das LAG Düsseldorf (Beschluss vom 12.01.2024 – 10 TaBV 51/23) über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl zu befinden. Diese hatten die unterlegenen Wahlbewerber angefochten.

Dem gegenständlichen Betrieb gehören ca. 13.300 wahlberechtigte Arbeitnehmer verschiedentlicher Nationen an, davon ca. 2.000 Arbeitnehmer ausländische Arbeitnehmer.

Mit Wahlausschreiben vom 07.02.2022 leitete der Wahlvorstand die Wahl eines neuen Betriebsrats ein. Die Informationen über das Wahlverfahren, die Aufstellung der Wähler- und Vorschlagslisten, den Wahlvorgang oder die Stimmabgabe erfolgten ausschließlich in deutscher Sprache. Lediglich in einer Anlage 1 zum Wahlausschreiben befand sich folgender Hinweis in 14 verschiedenen Sprachen:

„Wenn sich Fragen zu diesem Vorgang ergeben, wenden Sie sich umgehend an die unten aufgeführten Ansprechpartner.“

Die Betriebsratswahl wurde durch unterlegene Kandidaten angefochten. Zur Begründung ihrer Anfechtung führten diese an, der Wahlvorstand habe entgegen § 2 Abs. 5 der nach § 126 BetrVG erlassenen Wahlordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WO) nicht dafür gesorgt, dass alle ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, vor Einleitung der Betriebsratswahl über Wahlverfahren, Aufstellung der Wähler- und Vorschlagslisten, Wahlvorgang und Stimmabgabe in geeigneter Weise unterrichtet werden. Eine Vielzahl der ausländischen Arbeitnehmer könnten die deutsche Sprache weder lesen noch schreiben. Dies belege auch der Umstand, dass einige Handlungs- und Sicherheitsanweisungen in türkischer Sprache erfolgten.

Dagegen argumentierte der Arbeitgeber, dass die angeordnete Werkssprache „deutsch“ sei und keine Anhaltspunkte für fehlende Sprachkenntnisse ausländischer Arbeitnehmer bestanden hätten. Diese seien in der Betriebspraxis in der Lage gewesen, alle deutschen Arbeitsanweisungen umzusetzen. Die Kommunikation gegenüber den wahlberechtigten Arbeitnehmern erfolge ausschließlich in deutscher Sprache. Auch der Betriebsrat kommuniziere nur in deutscher Sprache; Betriebsversammlungen würden nur in deutscher Sprache abgehalten. Zudem sei lediglich eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern betroffen. Von den ca. 13.300 wahlberechtigten Arbeitnehmern seien lediglich ca. 14,8 % ohne deutsche Staatsangehörigkeit.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht ließen die Argumentation des Arbeitgebers nicht gelten und stellten die Unwirksamkeit der Wahl wegen eines Verstoßes gegen § 2 WO fest. Nach dieser Vorschrift müssen alle ausländischen Arbeitnehmer vor Einleitung der Betriebsratswahl über das Wahlverfahren in geeigneter Weise, also in ihrer Heimatsprache unterrichtet werden, wenn diese nicht hinreichend der deutschen Sprache mächtig sind. An die deutschen Sprachkenntnisse seien – so das LAG – aufgrund der Komplexität der Informationen hohe Anforderungen zu stellen. Deswegen sei unerheblich, ob sich die Arbeitnehmer auf der Arbeit auf Deutsch verständigen könnten. Dies lasse nicht den Schluss zu, dass ausländische Arbeitnehmer die komplexen Informationen über das Wahlverfahren in deutscher Sprache hinreichend verstehen könnten. Unerheblich sei auch die behauptete geringe Anzahl betroffener Arbeitnehmer im Verhältnis zur gesamten Belegschaft. Schon 200 betroffene Arbeitnehmer hätten ausgereicht.

2. Zugang einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben – Kein Anscheinsbeweis bei Vorlage von Einlieferungsbeleg und Sendestatus

Eine Ende letzten Jahres getroffene Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.12.2023 – 15 Sa 20/23) zeigt einmal mehr, dass ein Anscheinsbeweis für den Zugang einer Kündigung nur dann greift, wenn neben dem Einlieferungsbeleg der Sendung auch eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorgelegt wird. Der Ausdruck des Sendestatus ist hingegen nicht ausreichend.

Das war passiert: Die Klägerin war bei der Beklagten, einer Gemeinschaftspraxis für Augenärzte, als medizinische Fachangestellte beschäftigt. Mit Schreiben vom 14.03.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis, woraufhin die Klägerin Kündigungsschutzklage erhob. Im Verlaufe des Verfahrens behauptete die Beklagte, das Arbeitsverhältnis auch mit Schreiben vom 26.07.2022, das der Klägerin am 28.07.2022 als Einwurf-Einschreiben zugegangen sei, ein zweites Mal gekündigt zu haben. Dazu legte sie einen Einlieferungsbeleg sowie den Sendestatus der Deutschen Post vor. Die Arbeitnehmerin bestritt den Zugang der Kündigung. Die Beklagte unternahm im Anschluss weitere Kündigungsversuche, zuletzt am 03.12.2022. Während das Arbeitsgericht Heilbronn die Kündigung vom 14.03.2022 als unwirksam ansah, stellte es die Wirksamkeit der Kündigung vom 26.07.2022 fest.

Das LAG Baden-Württemberg hob die Entscheidung auf und befand erst die dritte Kündigung vom 03.12.2022 für wirksam.

Das LAG stellte fest, dass im Hinblick auf die zweite Kündigung vom 26.07.2022 schon der für die Wirksamkeit erforderliche Zugang nicht nachgewiesen sei. Die Beklagte habe für den Zugang der Kündigung keinen Beweis angetreten. Auch die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang der Kündigung lägen nicht vor. Werde – wie vorliegend – kein Auslieferungsbeleg, sondern allein der Sendestatus vorgelegt, begründe dies auch in Kombination mit dem Einlieferungsbeleg keinen Beweis des ersten Anscheins. Der Sendungsstatus allein habe nicht die gleiche Beweiskraft wie ein Auslieferungsbeleg, da er weder den Namen des Zustellers noch eine Unterschrift enthalte. Könne eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs nicht mehr erlangt werden, falle dies in die Risikosphäre des Absenders.

Da der Unterschied zwischen reinem Sendestatus und Auslieferungsbeleg noch nicht vom BAG entschieden wurde, hat das LAG die Revision zugelassen.

Praxishinweis:

Entscheidet man sich für eine Kündigung mittels Einwurf-Einschreiben, sollte aus Beweisgründen neben dem Einlieferungsbeleg immer der Auslieferungsbeleg vorgelegt werden. Weil dieser bei der Post nur für begrenzte Zeit gespeichert wird, sollte sich möglichst zeitnah um den Erhalt des Belegs bemüht werden. Zudem ist es ratsam, stets ergänzend Beweis durch Zeugnis des Zustellers anzubieten. Idealerweise sollte jedoch der persönliche Weg gewählt und die Kündigung durch persönliche Zustellung oder Einwurf in den Briefkasten unter Anwesenheit von Zeugen mit entsprechender Dokumentation erfolgen.

3. Überarbeitung des AgrarOLkG

Wir möchten Sie darüber informieren, dass nach FDP-seitig blockierten Koalitionsgesprächen Bewegung in das Thema AgrarOLkG (Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz) gekommen ist. Am 16.06.2024 hat sich die Ampelkoalition auf ein „Agrarpaket” zur Unterstützung der Landwirtschaft verständigt, in dessen Rahmen auch eine Novelle des AgrarOLkG vorgesehen ist. Der Gesetzesentwurf sieht insbesondere folgenden geänderten Anwendungsbereich vor:

Ausnahmen vom Anwendungsbereich (§ 10 Abs. 1 Ziffer 2):

Die befristete Ausnahme für bestimmte Produktgruppen (Fleisch, Milch, Obst, Gemüse, etc.) wird entfristet. Bezüglich des Umsatzes des Lieferanten wird nunmehr auf den globalen Umsatz und nicht mehr auf den in Deutschland abgestellt. Dieser darf lieferantenseitig nicht höher als 15.000.000 € und nicht mehr als 20 % des globalen Jahresumsatzes des Käufers betragen (bisher 4.000.000 €).

Die Einigung der Regierungskoalition steht dem Vernehmen nach unter dem Vorbehalt, dass alle drei Bestandteile des erwähnten „Agrarpakets” (steuerliche Gewinnglättung, Förderung der Weidetierhaltung auf Grünland und Novelle des AgrarOLkG sowie einschließlich des noch auszuarbeitenden GAP-Konditionalitäten-Gesetzes) Anfang Juli 2024 im Plenum beschlossen werden.

4. Aktuelle Tarifabschlüsse

  • Erhöhung der Entgelte ab 01.09.2024 um 2,00 %
  • Erhöhung der Entgelte ab 01.04.2025 um 4,85 %
  • Verschiebung der zweiten Entgelterhöhung bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten um max. drei Monate möglich
  • Vorteilregelung für IG BCE-Mitglieder: ab 2025 ein zusätzlicher freier Tag
  • Vereinbarung zu ersten Modernisierungsschritten im Bundesentgelttarifvertrag sowie zu einem weiteren Modernisierungsprozess der Chemie-Tarifverträge bis 2030
  • Einrichtung regionaler Fachkräfteradare zur Beschäftigungssicherung
  • Unveränderte Wiedereinsetzung der Schlichtungs-vereinbarung
  • Laufzeit: 01.07.2024 – 28.02.2026 (20 Monate)

Diesen und weitere Tarifabschlüsse finden Sie  unter VdEW-intern, Tarifnachrichten.

5. VdEW Homepage: VdEW Intern – Wirtschaftsinfos

Wir weisen an dieser Stelle auf die neue Version 21.1 von Juni 2024 zu „Aushangpflichtige Arbeitsschutzgesetze“ hin. Zur Vorversion von Februar 2024 gab es einige redaktionelle Anpassungen.

Die Lang- sowie die Kurzfassungen stehen zum Download auf unserer Internetseite unter VdEW-Intern und dort unter Wirtschaftsinformationen für Sie bereit.

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